Ökofeminismus, Kuba und Eco Mujer
Was macht Eco Mujer zu einer transnationalen Frauenbewegung des Ökofeminismus?
Stephanie Remus hat am Lateinamerika-Institut derFU Berlin im Seminar: Transnationale Frauenbewegungen des Nordens und Südens eine Hausarbeit vorgelegt.
Hier Ökofeminismus, Kuba und Eco Mujer als PDF lesen.
- Einleitung
„Ökofeminismus“ von Maria Mies und Vandana Shiva gilt als einer der bedeutendsten Literaturklassiker des Ökofeminismus. An Aktualität und Wichtigkeit des Buches und dessen Inhalten hat sich seit der Erstveröffentlichung im Jahr 1993 bis heute so gut wie nichts geändert. Leider. Umso notwendiger, dass es Frauenbewegungen gibt, die sich dem Thema Ökofeminismus gewidmet haben und für eine nachhaltigere und feministischere Umwelt eintreten. Zu dieser Bewegung zählt sich auch der deutsch-kubanische Frauenverein Eco Mujer. In den 90-er Jahren aus der Kubasolidarität entstanden und zunächst ein Frauen-Umwelt-Projekt im Austausch mit deutschen und kubanischen Frauen und später auch mit Akteurinnen Lateinamerikas.
Wie Ökofeminismus, Kuba und Eco Mujer zusammenpassen, soll in dieser Arbeit geklärt werden. Im Rahmen des Seminars „Transnationale Frauenbewegungen des Nordens und des Südens“ gehe ich in dieser Arbeit außerdem der Frage nach, was Eco Mujer zu einer transnationalen Frauenbewegung des Ökofeminismus macht. Als Grundlage dient mir dabei „Ökofeminismus“ von Maria Mies und Vandana Shiva. Warum ich dieses Buch ausgewählt habe, hat verschiedene Gründe: Das Buch ist etwa so alt wie Eco Mujer selbst, die Thematik hochaktuell, genau wie die Arbeit von Eco Mujer. Erst im September 2016 organisierte Eco Mujer noch ein Seminar gemeinsam mit Maria Mies zum Thema „Patriarchat und Kapital“. 2016, im selben Jahr, in dem Eco Mujer das 20. Jubiläum feierte, erschien die überarbeitete Neuauflage von „Ökofeminismus“. All diese Gemeinsamkeiten veranlassten mich dazu, auch die thematischen Berührungspunkte herauszusuchen. Eco Mujer selbst fühlt sich dem Buch sehr verbunden, auch eine der Sprecherinnen des Vereins, Monika Schierenberg, hielt auf dem ersten Seminar in Pinar del Rio ein Referat dazu.
- Ökofeminismus auf Kuba
Kuba zählt, so wie die meisten Länder Lateinamerikas und der Karibik, zu den sogenannten Entwicklungsländern. Doch im Gegensatz zu vielen Ländern dieser Region, herrscht auf Kuba besonders im Sozialwesen und im Umweltschutz ein hohes Niveau, das in armen Ländern oftmals schwer umzusetzen und nur von reichen Industriestaaten vorzuweisen ist. Durch das gratis Gesundheits- und das gratis Bildungssystem auf Kuba, bescheinigt beispielsweise die Nichtregierungsorganisation „Save the Childen“ den kubanischen Mädchen und Frauen besonders gute Entwicklungschancen[1]. Die Kinder- und Müttersterblichkeit in Kuba gehört zu den niedrigsten in ganz Amerika, wie die Weltgesundheitsorganisation bestätigt[2]. Was die nachhaltige Entwicklung betrifft, so hat sich Kuba der Umsetzung der Agenda 21 verschrieben und war eines der ersten Länder, welches die Vorgaben der Konferenz in Rio 1992 in seine Gesetze einbezogen hat[3]. Der ökofeministische Kampf der kubanischen Frauen unterscheidet sich daher doch von dem vieler Frauen aus anderen Ländern des Südens. Eco Mujer sieht in Kuba eine Art Übergang zwischen dem globalen Norden und dem Süden. Das zeigt sich auch daran, dass 50% der Führungskräfte in Kuba Frauen sind, oftmals sogar junge Frauen. Und das, obwohl Kuba, wie viele andere lateinamerikanische Länder, im Alltag immer noch stark vom Machismo geprägt ist.
- Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Das Buch „Ökofeminismus“ erhebt meines Erachtens nicht den Anspruch eine Definition des Begriffs „Ökofeminismus“ zu liefern. Es erklärt vielmehr mit Hilfe jahrelanger Erfahrungen und Recherchen der Autorinnen die Bandbreite des Ökofeminismus. Dabei werden die Leser*innen dazu aufgefordert, sich selbst ein Bild vom Thema zu machen und es wird ihnen die Chance gegeben, sich selbst die Frage zu beantworten, was Ökofeminismus ist. Die Themen, die von den Autorinnen dabei angesprochen werden, sind vielseitig, ebenso wie die Bewegungen aus denen der Ökofeminismus entstanden ist und genauso wie Eco Mujer selbst. Die wichtigsten Themen scheinen mir Reduktionismus und Wissenschaft, Subsistenz, Entwicklung, Zerstörung der Natur, Gen- und Reproduktionstechnik, Sexismus und Rassismus, sowie Kapitalismus und Patriarchat zu sein. Viele der Themen überschneiden sich auch in den einzelnen Kapiteln. Bei welchen einzelnen Punkten es Gemeinsamkeiten mit Eco Mujer und auch Kuba gibt und wo die Unterschiede liegen, soll im Folgenden untersucht werden.
3.1 Erste Gemeinsamkeiten
In der Einleitung „Warum wir dieses Buch zusammen geschrieben haben“ beschreibt Maria Mies die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ihr und Vandana Shiva. Bereits an dieser Stelle lassen sich Parallelen nicht nur zwischen dem Buch und Eco Mujer, sondern auch zwischen den Autorinnen und Eco Mujer finden. Maria Mies stammt aus dem globalen Norden, ist Sozialwissenschaftlerin und hat ihre Wurzeln in der Frauenbewegung. Vandana Shiva dagegen stammt aus dem armen Süden, ist Grundlagenphysikerin und kommt aus der Ökologiebewegung. Die deutschen Eco Mujeres kommen ebenfalls aus dem globalen Norden und haben ihre Anfänge in der Frauen- aber auch Friedensbewegung. Die kubanischen Eco Mujeres stammen aus dem Süden und hatten anfangs mit feministischen Perspektiven nichts zu tun, sondern haben einen ökologischen Hintergrund. Doch ebenso wie Maria Mies und Vandana Shiva gemeinsames Interesse daran hatten die lebenserhaltenden Prozesse in Gang zu halten[4], so hatten auch die Eco Mujeres dieses gemeinsame Ziel. Während Maria Mies Ökofeminismus als ein Ergebnis aus verschiedenen sozialen Bewegungen, wie der Frauen-, Friedens- und Umweltbewegung[5], beschreibt, und betont, dass er sich nicht aus einem akademischen Diskurs unter Frauen des Nordens entwickelt hat[6], ist das Bemerkenswerte an Eco Mujer, dass es sich gerade bei den kubanischen Frauen durchweg um Akademikerinnen handelt, von denen auch viele als Professorinnen an Hochschulen arbeiten. Das Verhältnis Nord/Süd ist in diesem Falle also umgekehrt worden. Obwohl das so ist und Maria Mies Akademikerinnen vorwirft, nur in der Theorie zu arbeiten und sich nicht die Hände an Bewegungen schmutzig zu machen[7], arbeiten gerade die kubanischen Eco Mujeres oftmals praxisbezogener als ihre deutschen Mitstreiterinnen. Beispielsweise übernehmen sie die Projektbetreuung in den Gärten vor Ort.
3.2 Sexismus und Rassismus
Der Kampf gegen Sexismus und Rassismus zieht sich durch das gesamte Buch. Immer wieder werden die Zusammenhänge zwischen der Unterdrückung der Frau und Völkern des globalen Südens und dem Kapitalismus und Patriarchat aufgezeigt. Besonders in Kapitel 12 geht Maria Mies auf die sexistischen und rassistischen Grundlagen der neuen Fortpflanzungstechnologien ein. Geburtenkontrolle nicht zur Befreiung der Frau, sondern um sie zu unterdrücken und zu kontrollieren. Speziell das Bevölkerungswachstum in armen Regionen dieser Erde soll damit auf Wunsch des Westens eingedämmt werden. Im Denken des Westens stellt eine Überbevölkerung armer Menschen eine Gefahr für den Reichtum des Westens dar[8]. Sexistisches und rassistisches oder jedwedes andere diskriminierende Denken hat bei den Eco Mujeres keinen Platz. Der Verein basiert auf der Vielfalt seiner Mitglieder. Zwischen 26 und 75 Jahre sind die Frauen alt. Die unterschiedlichsten Berufe, auch „typische Männerberufe“ werden ausgeübt. Jede Hautfarbe, jede sexuelle Orientierung und jede Glaubensrichtung ist möglich. Manche der Frauen haben Kinder, andere wieder nicht. Einige sind verheiratet, andere geschieden oder Single. Auch ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Frauen aus Ost- und Westdeutschland ist im Verein gegeben. Auf diese Weise entstand in der Gruppe Einigkeit durch Vielfalt.
Zudem haben die deutschen Frauen die feministische Perspektive mit in die Gruppe getragen. Die kubanischen Eco Mujeres haben laut eigener Aussage davon sehr profitiert, erkennen Sexismus nun eher und können besser damit umgehen. Dabei arbeitet der Verein auch mit dem kubanischen Frauenverband (Federación de Mujeres Cubanas) zusammen.
3.3 Reduktionismus und Wissenschaft
Speziell in den Kapiteln 2 und 3 des Buches beschreiben Vandana Shiva und Maria Mies das Verhältnis zwischen Wissen und Unwissen, zwischen Wert und Nichtwert. Vandana Shiva beschreibt die moderne Naturwissenschaft als ein universales, wertefreies Wissenssystem, das durch die Logik seiner Methode für sich beanspruchen würde, zu objektiven Schlüssen zu kommen. Hier kritisiert sie, dass dabei Erfahrungswert, Subjektivität und sogenanntes „Laienwissen“ völlig aus der Wissenschaft ausgeschlossen würden. Die moderne Naturwissenschaft sei ein Produkt westlicher, patriarchaler Strukturen, die vor der Unterwerfung der Natur und der Frauen keinen Halt machten.[9] Dadurch würde das Wissen der Frauen und die Leistungen der Natur entwertet. Wert hätte nur, was Profit schafft[10]. So würde wiederum die Kolonisierung als Akt der Verbesserung und Entwicklung gesehen[11]. In der Frauenforschung kommt es nun laut Maria Mies zu einer neuen Sicht- und Vorgehensweise. Frauen sind nicht nur Forschungsobjekt, sondern auch Subjekt, von dem Gefühle und Erfahrungen in die Forschungsarbeit einfließen[12]. Sehr ähnlich funktioniert die Vereinsarbeit von Eco Mujer auch. Von Frauen für Frauen wird gegen die Entwertung des Wissen der Frauen und ihrer Arbeit gekämpft. Der Verein hat es geschafft, eine harmonische Basis zu schaffen, in der auf Augenhöhe jeder Beiträge leisten kann, egal, ob es sich dabei um Experten oder Laien handelt. Gerade die Schulkinder und Frauen sind gefragt, sich einzubringen und zu lernen. Jede Schulklasse verbringt mindestens eine Stunde pro Woche an dem Gartenprojekt. Die Lern- und Erfahrungswerte, die dabei gesammelt werden, können den Kindern von niemandem genommen werden.Auch ein Nord-Süd-Gefälle wird unter den deutschen und kubanischen Frauen vermieden. Die deutschen Frauen halten ihr Wissen aus dem privilegierten, reichen Norden nicht für wertvoller, als das Wissen der kubanischen Frauen aus dem unterdrückten Süden. Im Gegenteil: Oftmals kommen die Vorschläge und Anregungen für neue Vorhaben von Seite der Kubanerinnen. Auch wenn die deutschen Frauen zugeben, dass es ein langer Prozess war zu lernen, dass die kubanischen Frauen am besten die Bedürfnisse der kubanischen Bevölkerung kennen und sie sich nicht in alles einmischen müssen. Dass in dieser Situation durch die deutsche Seite mit ihrem ökonomischen Vorteil kein Ungleichgewicht entsteht, sondern der stetige Austausch auf Augenhöhe weiter stattfindet, ist der Verdienst aller Frauen im Verein und ihren täglichen Bemühungen.
3.4 Kapitalismus und Patriarchat
Der Kapitalismus: eine Erfindung westlicher Männer und oft als einzig funktionierendes Wirtschaftssystem propagiert. Die Kritik an diesem System zieht sich ebenfalls durch das gesamte Buch. Diese Thematik wird in den Kapiteln 8, 9 und 10 besonders hervorgehoben. Westliche Gesellschaften berufen sich immer wieder auf die allgemein und weltweit gültigen Menschenrechte, auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Das kapitalistische Wirtschaftssystem würde aber laut Maria Mies sofort zusammenbrechen, würden alle diese Rechte tatsächlich für die gesamte Menschheit gelten. Daher müssten Frauen, Ausländer, Asylanten und „Flüchtlinge“ anders behandelt werden als der Normal-Mann, womit Maria Mies wohl das westliche Patriarchat meint[13]. Diese kapitalistisch-patriarchale Industriegesellschaft sieht sich als Maß aller Dinge. Jedes Volk, jede Nation, jeder Staat solle sich die westliche Zivilgesellschaft und ihren Fortschritt zum Vorbild nehmen, obwohl diese Gesellschaft nur durch Ausbeutung und Krieg existieren kann. So werden beispielsweise immer wieder Kriege geführt, um die Wirtschaft anzukurbeln[14]. Mittlerweile regieren multinationale Konzerne die Welt. Um deren Überleben zu sichern, um das Überleben des Kapitalismus zu sichern, werden Menschen zum Konsum aufgerufen. Egal ob Technologie, Auto, Kleidung oder Lebensmittel, die Trends ändern sich schneller denn je. An die ökologischen Folgen dieses Konsumismus denkt dabei kaum jemand, obwohl sie jedem bekannt sein sollten: Natur und Klima werden unumkehrbar zerstört[15]. Dass dieser Lebensstil als fortschrittlich angesehen wird und gleichzeitig die westliche Zivilgesellschaft aber immer häufiger davor flieht, beispielsweise den Urlaub möglichst naturnah verbringen möchte, wie Maria Mies in Kapitel 10 beschreibt, hat mich in Bezug auf Kuba aufhorchen lassen. Wie oft ich in den vergangenen zwei Jahren, seit Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Kuba und den USA, gehört habe „Jetzt noch mal schnell nach Kuba, bevor sich dort der Kapitalismus breit macht“. Immer häufiger werden Infostände der Kubasolidarität, auch die von Eco Mujer, mit Reisebüros verwechselt. Hier setzt Eco Mujer an und versucht Kuba und seine Bevölkerung dabei zu unterstützen, seine Souveränität speziell gegenüber den USA aber auch Europa zu erhalten. Durch Aufklärung, Infostände und -veranstaltungen, Konferenzen und schriftliche Beiträge wie die Rundbriefe, möchte Eco Mujer gegen die US-Blockade und jegliche subversiven Programme seitens der USA gegen Kuba kämpfen. So kämpft Eco Mujer auch gegen den Kapitalismus und lebt selbst Alternativen wie beispielsweise das Konzept des „Buen Vivir“ vor, wie in nachfolgenden Kapiteln noch zu lesen sein wird.
3.5 Natur und nachhaltige Entwicklung
Die Bewahrung der Natur ist ein Grundpfeiler des Ökofeminismus. Ob der Kampf gegen Atomkraft, gegen Gentechnik, für Biodiversität, für sauberes Trinkwasser oder für weniger Müll durch weniger Konsum, das Thema Natur und ihre Zerstörung lässt sich in fast jedem Teil des Buches wiederfinden. Ihm wird kein eigenes Kapitel gewidmet, es ist viel mehr die Basis, der Hintergrund fast jeden Kapitels von „Ökofeminismus“. Der Kampf gegen die Zerstörung der Natur ist auch die Basis von Eco Mujer. Ob die Frauen gegen Atomkraft auf die Straßen gehen oder beim Saatgut-Festival mitmachen. Besonders kämpfen sie auch für ein Recht auf sauberes Trinkwasser. Noch bevor Trinkwasser im Jahr 2010 von der UNO zum Menschenrecht erklärt wurde, organisierte Eco Mujer in Kooperation mit verdi, genanet, fian und RLS im Jahr 2008 in Berlin eine internationale Wasserkonferenz „Steter Tropfen bricht den Stein – Frauen im Widerstand für das Menschenrecht auf Wasser an der Wissenschaftlerinnen, Gewerkschafterinnen und Aktivistinnen aus Bolivien, Kuba, Deutschland, El Salvador, Mexiko und Uruguay beteiligt waren. 2009 nahmen sie am Alternativen Weltwasserforum in Istanbul teil und boten auch einen Workshop „Women and Water“ an. Sie realisierten 2012 mit Aktivistinnen und Referentinnen aus Kolumbien und Bolivien und natürlich Kuba selbst eine „Wasserreise“ durch Kuba mit Seminar und Besichtigungsprogramm. Beim Kampf gegen Wasserprivatisierung arbeitete Eco Mujer im Unterstützungskreis der erfolgreichen Europäischen Bürgerinitiative „Wasser ist ein Menschenrecht“ mit. Wasser ist auch wichtiges Thema in der Agenda 21. Im Jahr 1992 in Rio beschlossen und von Kuba als eines der ersten Länder umgesetzt und von Eco Mujer als wichtige Säule aufgegriffen, hatte die Agenda 21 zum Ziel eine weltweit nachhaltige Entwicklung voranzutreiben. Maria Mies kritisiert an der Agenda 21, dass ihre Umsetzung im Grunde nicht für alle Menschen dieser Erde zu realisieren sei. Der Lebensstandart und die Konsummuster der Menschen in den reichen Industrieländern des Nordens ließen sich nicht auf alle fünf Milliarden Menschen, die derzeitig auf der Erde leben, übertragen[16]. Sie nennt dieses Prinzip die „nachholende Entwicklung“. Doch ohne die Bereitschaft von „unten“ wird es kaum möglich sein, eine Welt zu schaffen, in der jedem Menschen Grundbedürfnisse zugesprochen und befriedigt werden[17]. Dennoch versucht Eco Mujer auf lokaler Ebene von „unten“ an einer solchen Welt zu arbeiten. Dazu wollten sie 2012 an der Folgekonferenz Rio+20 teilnehmen, doch die Teilnahme an der Konferenz war zu teuer. Stattdessen beteiligten sie sich am parallel stattfindenden „Gipfel der Völker“, der für die Eco Mujeres nach eigener Aussage sehr viel produktiver war, da die Abschlusserklärung der offiziellen Konferenz keine Perspektiven oder Alternativen bot. Eco Mujer sieht beispielsweise im Konzept des „Buen Vivir“ eine Alternative, die sie selbst bereits versuchen in ihrem Alltag vorzuleben. Das fängt beim Kauf der Lebensmittel an und hört bei Fahrrädern als Fortbewegungsmittel auf. Was dazwischen stattfindet, ist ein Kampf um soziale Gerechtigkeit und um die Erhaltung der Natur.
3.6 Subsistenz
Eine Alternative, die von Maria Mies und Vandana Shiva vorgestellt wird, ist die der Subsistenzwirtschaft. Im Buch findet sie immer wieder Erwähnung und im letzten Kapitel wird sie schließlich als „neue Vision“ dargestellt. Nach Maria Mies wurde das Konzept zunächst entwickelt, um die unsichtbare, unbezahlte oder unterbezahlte Arbeit von Hausfrauen, Subsistenzbauern und Kleinproduzenten im so genannten Informellen Sektor zu analysieren, die die Basis für das kapitalistische System darstelle[18]. In dieser Vision wird auch Kuba von Maria Mies erwähnt. Nachdem die Sowjetunion zusammenbracht, wurden sämtliche Importe von dort nach Kuba gestoppt. Kuba stand nun vor dem Dilemma, entweder eine Neokolonie der USA zu werden oder zu versuchen, wirtschaftlich und politisch unabhängig zu werden, indem die Subsistenzwirtschaft wiederbelebt würde. Kuba versuchte es mit dem schwierigen und in manchen Augen rückständigen Weg der Subsistenzproduktion und konnte sich so nicht nur bis heute seine Unabhängigkeit bewahren, sondern versucht sich auch auf dem Weg der regionalen Selbstversorgung, ökologischen Nachhaltigkeit und sozialen Gerechtigkeit. Zur internationalen Solidarität, von der Maria Mies hier spricht und auf die Kuba im Gegensatz zu anderen Ländern zählen könne, gehört auch Eco Mujer[19]. Der Verein unterstützt Kubas Subsistenzproduktion, indem auf Vorschlag der kubanischen Eco Mujeres in der Provinz Pinar del Rio ein Schulgartenprojekt realisiert wurde. Die Schüler bauen so viel an, wie sie selbst für ihr Mittagessen in der Schule benötigen. Es geht weder um Überproduktion noch um Profit. Die Kubanerinnen entscheiden selbst, was in dem Garten passiert. Es werden keine Monokulturen angelegt. Stattdessen wird darauf geachtet, dass so wenig Wasser wie möglich verbraucht wird, Pflanzen gezogen werden, die gut zusammen wachsen können und so wenig wie möglich Fremdenergie benötigt wird. Kurzum, die Frauen hielten eine Permakultur für die beste Variante und so wachsen auf dem Schulgelände mittlerweile Heilpflanzen, Obstbäume, Salat, Kräuter, Tomaten, Zwiebeln, Auberginen und vieles mehr. Die deutschen Eco Mujeres konnten Materialien beispielsweise für Regentonnen und Zäune zur Verfügung stellen, der Kompost wird selbst hergestellt und die Setzlinge stammen aus Kuba. Das Gemüse hat also nicht nur Bioqualität und das Prinzip des Gartens ist nachhaltig, sondern das Projekt ist auch unabhängig von transnationalen Konzernen und unterliegt nicht deren strengen Patentvorschriften. Patentrechte gehören ebenfalls zu den Dingen, die in „Ökofeminismus“ oft kritisiert werden[20]. Maria Mies schrieb dazu einmal das Lied „Lassen sie sich patentieren“, welches von den Eco Mujeres beim Saatgut-Festival in Düsseldorf gesungen wurde.
3.7 Gen- und Reproduktionstechnik
Maria Mies macht deutlich klar, dass für sie die neue Gen- und Reproduktionsforschung und ihre praktische Anwendung die Grundlage jeder Ethik vollkommen zerstört[21]. Scheinbar macht es für die Wissenschaft heute keinen Unterschied mehr, ob bei Lebensmitteln oder Menschen genetische Veränderungen vorgenommen werden, die Moral geht Richtung Null. Während Maria Mies und Vandana Shiva sowohl genetische Veränderung an Lebensmitteln[22] als auch an Menschen[23] kritisieren, ist an dieser Stelle erstmals ein Unterschied zwischen dem Buch und Eco Mujer zu finden: Selbstverständlich kritisiert und verurteilt Eco Mujer ebenfalls beide Varianten. Jedoch ist auf Kuba eine Arbeit gegen neue Reproduktionstechniken bisher nicht von Nöten gewesen. Vermutlich, weil es dort an Mitteln fehlt, um diese Techniken anzuwenden. Und so findet sich auch in der Arbeit der Frauen von Eco Mujer nichts, was in diese Richtung gehen würde. Wohingegen sie in Bezug auf genetisch veränderte Lebensmittel derzeit vor neuen Herausforderungen in Kuba stehen.
- Neue Herausforderungen und neue Wege
4.1 Gentechnik auf Kuba
Für Kuba ein hochaktuelles, für westliche Länder ein schon seit Jahren kontrovers diskutiertes Thema: genetisch veränderte Lebensmittel. Von international bekannten Organisationen wie Greenpeace bis hin zu Supermärkten wird gegen transgene Lebensmittel mobil gemacht. Selbst der Bauernhof in meinem Heimatdorf bewirbt seine Kuhmilch und das Kalbsfleisch mit selbst hergestelltem Tierfutter ohne Genmanipulation. Wer sich mit Umweltschutz befasst, kommt an dieser Thematik kaum vorbei und weiß, welche Risiken im Zusammenhang mit genetisch veränderten Lebensmitteln bestehen[24]. So richtig bemerkbar machen sich die Probleme, die mit der Genmanipulation einhergehen, in der Bevölkerung eines reichen Landes wie Deutschland aber vorerst kaum. Das betrifft vielmehr die armen Länder des Südens, die Bauern und die Frauen dort, die anstelle ihrer eigenen natürlichen Samen, genmanipulierte Samen von reichen Konzernen für teures Geld kaufen müssen. Hierzulande bleibt es oft Privileg der besser betuchten, bürgerlichen Mittelschicht, auf die Herkunft des Fleisches und anderer Lebensmittel zu achten und beispielsweise im Biomarkt oder beim örtlichen Metzger oder Bauernhof einzukaufen.
Der reiche Westen lebt ein Leben im Überfluss vor und wundert sich, dass arme Länder versuchen dem nachzueifern. So verwundert es erst mal nicht, dass auch Kuba, das selbst nicht genügend Lebensmittel für seine Bevölkerung herstellen kann, aber auch keine ausreichenden Importe hat, nun zur Steigerung der Lebensmittelproduktion genetisch verändertes Saatgut verwenden möchte. Schon seit 2004 forscht das „Kubanische Zentrum für Gentechnik und Biotechnologie“ an genetisch veränderten Mais- und Sojapflanzen, sowie Süßkartoffeln und Tomaten[25]. Ein Pluspunkt: Kuba forscht selbst, stellt auch selbst her, ist also nicht auf transnationale Konzerne angewiesen, die die kleinen Bauern des Südens ausbeuten. Das „Kubanische Zentrum für Gentechnik und Biotechnologie“ argumentiert mit den strengen Regulierungen und Kontrollen während der Forschungsarbeit für die Produktion mit transgenem Saatgut. Die in Kuba zugelassenen Produkte gelten in jeder Hinsicht als sicher für Umwelt, Mensch und Tier. Wer beim Anbau alles gewissenhaft kontrolliere und wisse, was er tue, der könne auch keine Probleme anrichten. Ob diese Einstellung richtig ist oder naiv oder gar ignorant, wird sich vermutlich in der Zukunft zeigen. Für Eco Mujer hat die Diskussion zu dieser Thematik erst begonnen. Einerseits arbeitet Kuba mit transgenen Produktionen völlig gegen die Prinzipien von Eco Mujer. Andererseits fordert Eco Mujer schon immer die Bewahrung der Souveränität Kubas. Gegen die kubanische Entscheidung transgene Pflanzen anzubauen, wird Eco Mujer wohl kaum etwas direkt bewirken können. Möglichkeiten, die dem Verein offen stehen, sind weiter gegen die US-Blockade zu kämpfen, um Importe von Lebensmitteln zu verbessern und billiger zu gestalten. Außerdem Aufklärung der Zivilgesellschaft, sowohl in Deutschland als auch auf Kuba und zudem der Kampf gegen die Monopolisierung transnationaler Großkonzerne. Letztendlich bleibt es auch in der Hand von Eco Mujer, welches Saatgut innerhalb der Projekte wie dem Schulgarten verwendet wird. Unterm Strich kann Eco Mujer, und auch niemand sonst, dem kubanischen Staat vorschreiben, wie er für seine Bevölkerung zu sorgen hat. Gentechnik wurde schon immer damit angepriesen den Welthunger zu minimieren oder gar zu eliminieren. Dass nun auch Kuba versucht auf die Weise den Hunger im eigenen Land zu bekämpfen, kann kaum zum Vorwurf gemacht werden. Kubas Maisproduktion leidet unter wild wachsendem Gestrüppwuchs und Schädlingsmotten, gegen die Herbizide eingesetzt werden müssen. Der transgene Mais wäre resistent gegen diese Herbizide. Ein Fortschritt? Es bleibt außerdem abzuwarten, ob und wie Kuba, das sowieso unter extremen Dürreperioden leidet, mit dem erforderlichen Mehrverbrauch an Wasser bei genetisch veränderter Landwirtschaft umgehen wird. Etwas, das von Eco Mujer an dieser Thematik am meisten kritisiert wird, ist die fehlende Auseinandersetzung mit diesem Problem.
4.2 Grüne Medizin
Im Gegensatz dazu kommen aber auch positive Projekte mit weit weniger kontroversem Inhalt auf Eco Mujer zu. Auf Kuba sind Medikamente oft rar, Alternativen daher immer gern gesehen. So arbeiten die kubanischen Eco Mujeres seit langem mit „grüner Medizin“. Ob Husten, Schnupfen oder Magenbeschwerden, für alles gibt es eine pflanzliche und natürliche Lösung, die bei uns wohl eher als „Hausmittelchen“ bekannt wäre. Von allen Pflanzen und Obst- und Gemüsesorten, die im kubanischen Haushalt auf den Tisch kommen, kennen kubanische Frauen und auch viele der Männer, die Wirkungen. Von kubanischer Seite kam nun die Anfrage an die deutschen Frauen, einen Austausch über „grüne Medizin“ anzuregen.
4.3 Mapa Verde
Derzeit sitzen einige der kubanischen Eco Mujeres an einer sogenannten „Mapa Verde“. Dabei handelt es sich um eine investigative Analyse zum Ist und Soll Zustand nachhaltiger Entwicklung. Die Methode ist nicht neu, es gibt sogar eine Organisation, die auf www.greenmap.org zu finden ist. Auf Kuba wird diese Methode nun auch angewendet, um herauszufinden, was schon geschafft und umgesetzt wurde, beispielsweise zur Agenda 21, und was noch gemacht werden muss. Wir dürfen auf das Ergebnis dieser Arbeit sehr gespannt sein!
4.4 Eco Mujer in Lateinamerika
Weitere positive Veränderungen, aber auch Herausforderungen können in Zukunft auf Eco Mujer zukommen. Ein Verbund indigener Frauen aus Ecuador hat ernsthaftes Interesse daran bekundet, eine eigene EcoMujer Gruppe zu gründen und daran mitzuwirken, das Konzept und die Projekte erst in Ecuador, aber auch in anderen Regionen Lateinamerikas zu verbreiten. Die Anfrage kam von einer Bolivianerin, die mittlerweile in Ecuador lebt.
- Fazit
Der gemeinsame Kampf um die Bewahrung der Lebensgrundlagen und gegen deren Zerstörung durch die Industrien bewegte Frauen dazu, unabhängig von der unterschiedlichen rassischen, ethnischen, kulturellen Herkunft oder der Klassenzugehörigkeit, solidarische Verbindungen mit anderen Frauen, Völkern oder gar Nationen einzugehen.[26] Diese Aussage lässt sich hervorragend auf die Eco Mujeres übertragen. Für mich sind sie definitiv eine transnationale Frauenbewegung des Ökofeminismus. Sie arbeiten mit den unterschiedlichsten Frauen aus Europa und Lateinamerika zusammen und wahren dabei den Austausch auf Augenhöhe zwischen dem globalen Norden und dem Süden. Sie leben selbst, soweit möglich, eine Alternative zum Kapitalismus und zur Industriegesellschaft vor und versuchen diese auf lokaler Ebene zu verbreiten. Sie kämpfen für eine nachhaltigere Gestaltung der Umwelt und gegen die Unterdrückung und Ausbeutung des globalen Südens. Dabei sind die Themen, mit denen sie sich beschäftigen, breit gefächert und gehen von Bildung über Medizin bis hin zu Feminismus, Ökologie und Frieden. Ihr Ziel ist dabei immer voneinander zu lernen. Diese Arbeit auf Kuba zu fokussieren, einem antikapitalistischen Entwicklungsland, ist gerade im Bereich Ökofeminismus eine hervorragende Voraussetzung, da hier besonders gut daran gearbeitet werden kann, die Fehler des Westens nicht zu wiederholen.
[1]Artikel von Dr. Edgar Göll auf Amerika21 vom 20.11.2016 https://amerika21.de/2016/11/164334/maedchenrechte
[2]Artikel von Marcel Kunzmann auf Amerika21 vom 05.01.2015 https://amerika21.de/2015/01/110302/kuba-kindersterblichkeit
[3]Artikel von Dr. Edgar Göll in den Netzwerk Cuba Nachrichten vom 22.01.2012 http://www.netzwerk-cuba.de/aktuelles/umwelt-und-nachhaltigkeitspolitik-in-kuba-ueberblick-und-kritische-wuerdigung-eines-weges-zur-zukunftsfaehigkeit-2006.html
[4]Mies, Maria/ Shiva, Vandana „Ökofeminismus“, Neu-Ulm 2016, S. 12
[5]Ebd. S. 22
[6]Ebd. S. 24
[7]Ebd. S. 24
[8]Mies, Maria/ Shiva, Vandana „Ökofeminismus“, Neu-Ulm 2016, S. 208/209
[9]Mies, Maria/ Shiva, Vandana „Ökofeminismus“, Neu-Ulm 2016, S. 35
[10]Ebd. S. 43
[11]Ebd. S. 38
[12]Ebd. S. 49
[13]Mies, Maria/ Shiva, Vandana „Ökofeminismus“, Neu-Ulm 2016, S. 134
[14]Ebd. S. 137
[15]Ebd. S. 267
[16]Mies, Maria/ Shiva, Vandana „Ökofeminismus“, Neu-Ulm 2016, S. 265
[17]Mies, Maria/ Shiva, Vandana „Ökofeminismus“, Neu-Ulm 2016, S. 69-83
[18]Ebd. S. 311
[19]Ebd. S. 314
[20]Mies, Maria/ Shiva, Vandana „Ökofeminismus“, Neu-Ulm 2016, S. 190
[21]Ebd. S. 61
[22]Ebd. S. 191
[23]Ebd. S. 214
[24]Mies, Maria/ Shiva, Vandana „Ökofeminismus“, Neu-Ulm 2016, S. 191 (auf dieser Seite ist eine Liste mit Risiken zu finden)
[25]Artikel von Marcel Kunzmann auf Amerika21 vom 27.12.2016 https://amerika21.de/2016/12/166380/anbau-genmais-gensoja-kuba
[26]Mies, Maria/ Shiva, Vandana, „Ökofeminismus“, Neu-Ulm 2016, S. 13